London. Es war dunkel. Die Bahn öffnete ihre Türen. Gefühlt im Nirgendwo. Mit uns stiegen noch vier Männer mit vollen Bärten aus. Da wir keinen Plan hatten in welche Richtung wir uns bewegen sollen, gingen wir den schicken Herren nach. Und tatsächlich, unser Glück ließ uns nicht im Stich. Es war unglaublich. Hinter der nächsten Ecke stand brav eine meterlange Menschenschlange vor einem aufgelassenen Bürogebäude an. Warum wir hier richtig waren: Auf drei Ebenen leuchteten bunte Discolichter durch die Fenster und uns erwartete das angesagteste Street Feast der gesamten Stadt.
Wir fühlten uns kurz wie Teenager, als wir bei der Kassa einen Stempel auf die Hand bekamen und vom dunklen Stiegenhaus verschluckt wurden. Im ersten Geschoß steckten wir neugierig die Nase durch die Tür. Die Stimmung im Raum elektrisierte uns. Eine riesige Menschenmenge war ins Hawker House in Haggerston gekommen. Street Feast – das Festmahl der Straße – sorgt hier für Furore. Die Organisatoren bieten einzigartiges Essen an einer einzigartigen Location. Im Winter im Gebäude und ab April unter freiem Himmel.
Profi- und Hobbyköche gaben an diesem Abend Einblick in die Foodtrends der Zukunft. Neben Burgern mit confierter Ente, Trüffeln und Sauerkraut kosteten wir Vollkornnachos mit himmlischer Guacamole und selbstgepresstem Fruchteis als Nachspeise. Der Enthusiasmus der Verkäufer und die Freude an der Sache wurde mit den kleinen Häppchen gleich mitverkauft. Wer Essen schätzt und Lust auf Neues hat, empfand hier ein gar kindliches Glücksgefühl.
Jeder Mieter eines Standes spezialisierte sich auf eine Köstlichkeit. Diese soll als unverwechselbares Erlebnis für immer im Gedächtnis des Käufers bleiben. Eine Geschmacksexplosion! Erfrischend neu und doch simpel. Die Restaurantalternative der Zukunft scheint gefunden. Es muss nicht zwischen verschiedenen Restaurantrichtungen entschieden werden. Jeder holte sich das Essen, das er am liebsten hatte. Kosten und kosten lassen. Street Feast besteht seit drei Jahren. Es bietet jungen engagierten Köchen die Möglichkeit, ihre Ideen und Fähigkeiten einem breiten Publikum zu präsentieren und ihre Marke zu etablieren. Die meisten Teilnehmer, die vor zwei Jahren noch hier standen und ihre Leckerbissen verkauften, besitzen heute bereits ein kleines Restaurant. Das Team von Street Feast hilft bei der Verfeinerung der eigenen Gustostückerl, gibt Feedback und greift beim Aufbau der eigenen Marke unter die Arme. Höchste Qualität und das Engagement der Köche hat oberste Priorität. Das fühlt und schmeckt man auch.
Ob es in London an der traditionellen Straßenfestkultur, der multikulturellen Bevölkerung oder der Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem liegt? Fest steht, auch das britische Wetter kann die Besucher nicht abhalten, gutes Essen auf der Straße zu genießen. Mein Versuch bei diesem Städtewochenende, drei Tage lang auf der Straße zu essen, ging am nächsten Tag weiter.
Der Ropewalk Market war der Geheimtipp unter den Straßenmärkten. Vor allem Einheimische kennen diesen kleinen, aber feinen Ort. Unter den U-Bahnbögen befindet sich während der Woche eine Tischlerei. Am Wochenende stellen junge Hobbyköche kleine Tische in die Nieschen und verkaufen herrliche Gaumenfreuden. Die Liebe zum Detail macht diesen Markt so speziell. Cocktails wurden in Marmeladengläser gereicht, köstliche Sandwichmischungen getoastet und Süßes für alle Naschkatzen verkauft. Neben der Tischlerei befindet sich die Backstube der St. Johns Bäckerei. Im vorderen Bereich wurden die kleinen süßen Köstlichkeiten verkauft, im hinteren Teil sah man die Mitarbeiter bei der Arbeit. Das Mandelcroissant zerlief auf der Zunge. Die Zusammensetzung aus süß, buttrig und doch fluffig war perfekt. Nebenan haben sich bereits eine Tappasbar und ein Cafè eingemietet. Londoner wissen genau, warum sie dieses Highlight für sich behalten. Das Flair, die Schlichtheit und die unvergesslichen Geschmackshighlights werden mich beim nächsten Londonbesuch sicher wieder hierher führen.
Den Abschluss machte am Sonntag der Brick Lane Markt. Im Vergleich zu den anderen Straßenmärkten ist dieser der Bekannteste. Es regnete. Eine Menschenmenge schob uns von der Straße in die Halle. Eine unüberschaubare Anzahl an kleinen Ständen verkaufte internationale Gerichte. Die Auswahl reichte von britisch, über europäisch, asiatisch, zu pan-amerikanisch und bis in den mittleren Osten. Neben Sushi wurden Rippchen, Hallacas und Muffins angeboten. Jede Speise sah umwerfend frisch und köstlich aus. Das Herz begann beim Anblick der verschiedenen Speisen vor Freude zu rasen. Die Auswahl an unbekannten Geschmäckern und Lebensmitteln war fast zu groß. Es galt auch hier: Teilen erwünscht und erlaubt. Man schwirrt wie aus einem Ameisenhaufen und holt sich die unterschiedlichsten Häppchen zurück an seinen Platz. Da gutes Essen immer eine gute Stimmung verbreitet, war die Atmosphäre unter den Besuchern, trotz des schlechten Wetters, sehr entspannt.
Die Herausforderung, bei einem Städtewochenende ausschließlich von der Straße zu essen, war eine sehr schöne und erfolgreiche. Straßenmärkte sind eine hinreißende Alternative zu gewöhnlichen Restaurants. Die Stimmung unter den Besuchern und den Hobbyköchen sowie das Flair sind unübertrefflich. Die Geschmäcker sind frisch, experimentell und mutig. Die Auswahl ist groß, für jeden noch so kritischen Gaumen ist etwas dabei. Die Locations sind ausgefallen und abgelegen. Man verliebt sich in diese Kultur leicht.
Dieses Jahr finden einige Streetfood-Märkte in Österreich statt. Man kann auf die Vielfalt und die Neuinterpretation österreichischer Gerichte gespannt sein. An Enthusiasmus und Ideenreichtum wird es den neuen Köchen bestimmt nicht fehlen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Trend offen angenommen und schon bald fester Bestandteil unserer Gesellschaft wird.
Hawker House – Streetfeast
http://www.streetfeastlondon.com
Ropewalk Market
http://www.maltby.st
Brick Lane Market
http://www.bricklanemarket.com