„Annato“ – noch nie gehört? Ich auch nicht. Jean aus Venezuela erklärte mir beim Zusammenstellen der Einkaufsliste, dass diese Zutat bei der Zubereitung eines venezolanischen Weihnachtsgerichtes unabkömmlich ist. Und da hatten wir auch schon den Salat. In einer Kleinstadt wie der meinen bedeutet das, die Nadel im Heuhaufen suchen zu müssen. Die einzige Hoffnung lag in einem kleinen Gewürzgeschäft. Wir machten uns auf den Weg und konnten kaum glauben als der Gewürzhändler nach der Frage nach Annato von seiner Verkaufstheke hervor stürmte und fragte wer die Samen kaufen würde und was er damit zubereiten möge. Verdutzt erklärten wir auf Englisch unser Kochrezept und die Herkunft von Jean. Der Verkäufer setzte das Gespräch auf Spanisch fort, weshalb ich nicht mehr folgen konnte. Nachträglich stellte sich heraus, dass diese Samen noch nie verkauft wurden und der Gewürzhändler selbst lange in Costa Rica gelebt hatte.
Belustigt durch diesen Start in unsere gemeinsame Kochsession bekamen wir dann im Thai-Shop noch venezolanisches Maismehl und ein Kilo Bananenblätter. Rückblickend bin ich doch begeistert von der Auswahl an internationalen Zutaten in meiner Stadt.
Vorbereitung ist alles
Die Vorbereitungen für das traditionelle Weihnachtsessen, der „Hallacas“, konnten beginnen. Das Gericht spiegelt den kulturellen Mix, die Gastfreundschaft und die wichtige Stellung der Familie wieder. In Wahrheit ist es ein Resteessen, aus den Fleisch- und Gemüsesorten der letzten Tage. Die Zutaten setzen sich aus Hühner-, Schweine- und Rindfleisch, Paprika, Zwiebeln und Knoblauch und den nicht heimischen Produkten wie Oliven, Rosinen und Kapern zusammen. Diese Vielfalt soll die Geschichte Venezuelas widerspiegeln.
Der für mich schönste Teil der Vorbereitungen war das gemeinsame Füllen der Päckchen aus Bananenblättern. Die gesamte Familie, egal ob jung oder alt, fand sich rund um den Tisch ein und jeder erhielt eine bestimmte Aufgabe: Meine Mutter übernahm das Auftragen des Teigs am Bananenblatt, mein Sohn und mein Vater das Belegen der Zutaten. Mein Bruder und Jean banden die Päckchen zusammen. Ich durfte währenddessen fotografieren. Spezielle Päckchen, zum Beispiel ohne Oliven oder Kapern wurden mit einer Schleife gesondert markiert. Die Köstlichkeiten wanderten für eineinhalb Stunden in kochendes Wasser und fertig war das unglaublich geschmacksintensive Weihnachtsessen aus Südamerika. Ich hoffe, dass ich dieses Gericht einmal in seinem Ursprungsland essen kann!
Facts: Annato – Was ist das
Annato sind die Samen des Annatostrauches. Die Früchte sehen wie stachelige, rote Zipfelmützen aus. Die Samen darin sind relativ geschmacklos und werden zum Färben von Essen und Kosmetika verwendet. Diesen Geheimtipp werde ich gleich in mein Gewürzregal aufnehmen und in Zukunft auf den vergleichsweise teuren Safran verzichten. Das Farbergebnis ist ein intensives Gelb. Die Samen werden für dieses Gericht zu einem Teil in Wasser, zum anderen Teil in Öl gekocht. Die Flüssigkeit färbt sich rot, nach dem Vermengen mit Maismehl oder Zwiebeln intensiv gelb.
Die Bananenblätter werden in Venezuela über offenen Feuer kurz geräuchert. Das Blatt nimmt das Raucharoma auf und gibt es an das Gericht ab. Da wir im Dezember leider kein offenes Feuer machen konnten, entschlossen wir uns kurzer Hand, die Blätter in einem großen Topf kurz zu blanchieren. Danach säuberte ich sie mit einem Geschirrtuch, um alle weißen Rückstände zu beseitigen. Von den großen Blättern schnitten wir den Strunk ab und zerteilen sie in drei unterschiedliche Größen.
Zutaten Hallacas (10 Päckchen)
1 EL Annato
1 roten Paprika
1 gelben Paprika
1 grünen Paprika
1 große Zwiebel
1 Schalotte
1 Bund Frühlingszwiebeln
6 Knoblauchzehen
Oliven
Rosinen
Kapern
1 kg Rinderfilet
1 kg Hühnerfilet
1 kg Schweinefleisch
Maismehl
Öl
Wasser
5 Hühnerknochen
Vorbereitungen im Detail
1/2 EL Annato in 1/8 Liter Öl in einem Topf erhitzen. 1/2 EL Annatosamen in 1/4 Liter Wasser leicht zum Kochen bringen. Alle Zutaten klein schneiden und in separaten Schüsseln beiseite stellen. Die Hühnerknochen mit einem Esslöffel Salz und 1/2 Liter Wasser zu einem Fond einreduzieren lassen. Die Zwiebeln und den Knoblauch in einer Pfanne mit etwas Wasser andünsten und mit 3 EL des Öls der Annatosamen färben. Die Zwiebel-/Knoblauchmasse auf die 3 klein geschnittenen Fleischsorten aufteilen. Das Huhn und das Schwein kurz anbraten. Das Rinderfilet bleibt roh. Für den Teig den Hühnerfond in eine große Schüssel leeren, Maismehl mit den Fingern untermengen. Nach und nach mit der Flüssigkeit der Annatosamen färben. Etwas Annatoöl beimengen. Abschmecken. Der Teig soll die Konsistenz einer Cremepolenta haben.
Zubereitung der Päckchen
Das kleinste Bananenblatt wird in der Mitte mit etwas Annatoöl bestrichen. Darauf eine Hand voll Maisteig zu einem Kreis verstrichen. Die restlichen Zutaten werden je nach Vorlieben der einzelnen Personen darauf verteilt. Zum Schluss werden die Enden der Bananenblätter zu einem Dreieck gefaltet und zusammen gerollt. Das nächstgrößere Blatt wird genau entgegengesetzt gefaltet und gerollt. Mit dem dritten Blatt das Päckchen gut verschließen, es soll kein Wasser eindringen. Mehrfach verschnüren. Die Päckchen eineinhalb Stunden in kochendem Wasser zugedeckt kochen lassen. Lasst es euch schmecken und genießt den Geschmack von Venezuela.
Meine Anmerkungen
Die Bananenblätter sind sehr schwer zu biegen und brechen leicht. Wenn möglich, vorgekochte Blätter kaufen. Wenn diese nicht erhältlich sein sollten, in Wasser blanchieren und den Strunk wegschneiden.
Während der Vorbereitungen darf traditioneller Weise gerne ein Bier getrunken werden.
Den Fond gut abschmecken und bei Bedarf noch nachsalzen. Die Suppe verleiht dem Teig eine besondere Note.
Die Annatosamen lösen sich nicht auf. Ihr könnt die jeweiligen Flüssigkeiten abseihen oder wie wir mit einem Esslöffel heraus schöpfen. Grüne Oliven schmecken besonders gut in dieser Kombination. Leider hatten wir keine Mandeln zur Hand. Diese würden dem Gericht noch einen besonderen Crunch verleihen.
Wir waren bei der Zubereitung in diesem Punkt zwar unterschiedlicher Meinung, aber ich würde sagen, dass die Päckchen auch in einem Dampfgarer gegart werden könnten, falls vorhanden. Über die Gartemperatur und die Dauer kann ich euch leider keine Auskunft geben. Aber Profis wie ihr können das sicher sehr gut selbst einschätzen. Wenn es jemand probiert, würde ich mich über Feedback sehr freuen.
Das Schönste ist die gemeinsame Zeit beim Vorbereiten und beim Essen. Genießt es, weil zu Festtagen wie diesen geht es für mich in erster Linie um die nette Gesellschaft aller Familienmitglieder oder von Freunden und nicht um das Essen an sich. Ein gutes Essen das beides vereint, muss unbedingt öfter gekocht werden und das nicht nur zu Weihnachten.
¡Buen provecho! Guten Appetit!